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Sind Sozialbestattungen für Bestatter ein Vabanquespiel?

Wenn ein Bestattungspflichtiger bei der Auftragsvergabe dem Bestatter mitteilt, dass er voraussichtlich die Bestattungskosten nicht tragen kann, wird der Bestatter dem Kunden raten, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen in der Hoffnung, dass das Sozialamt die Rechnung für die Bestattung übernimmt.

Oftmals zieht sich jedoch die Prüfung durch das Amt erheblich in die Länge oder die Übernahme der Bestattungskosten wird mit der Begründung abgelehnt, dass der Bestattungspflichtige Ausgleichsansprüche gegenüber Dritten habe. Da die Bestattung zeitnah durchgeführt werden muss, befindet sich der Bestatter in einem Dilemma: Führt er den Auftrag tatsächlich aus, läuft er Gefahr, nicht bezahlt zu werden. Lehnt er die Ausführung ab, riskiert er seinen Ruf.

Dabei sollte zumindest das Problem mit dem Verweis auf Ausgleichsansprüche gegen Dritte durch das wegweisende Urteil des Bundessozialgerichts vom 9. September 2009 (Az: B 8 SO 23/08 R) eigentlich erledigt sein. Hauptaussage des betreffenden Urteils war, dass der Sozialhilfeträger einem bedürftigen Bestattungspflichtigen, der die Übernahme von Bestattungskosten gemäß § 74 SGB XII beantragt hat, Ausgleichsansprüche gegenüber Dritten nicht entgegenhalten darf, wenn deren Durchsetzung ein gerichtliches Vorgehen mit unsicherem Ausgang erfordert. Damit hatte das BSG das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit eindeutig definiert. Das ändert aber nichts daran, dass in der Praxis der Sozialhilfeträger eine eigentümliche Auslegung des Urteils erfolgt unter dem Aspekt, dass es nicht Aufgabe des Amtes sei, regelmäßig als „Ausfallbürge“ für die Bestatter zur Verfügung zu stehen.

Bemerkenswert an dieser Praxis ist der Umstand, dass sie namentlich auf einen Autor zurückgeht, dessen besonderes Interesse als erster Beigeordneter der Stadt Erkelenz darauf abzielt, möglichst Sozialhilfekosten abzuwenden. Dr. Hans-Heiner Gotzen hat das Buch „Die Sozialbestattung“ geschrieben, das 2020 in der 3. Aufl. erschienen ist, und tritt regelmäßig bei Veranstaltungen als Referent auf. Dabei munitioniert er die Mitarbeiter und Abteilungsleiter der Sozialämter für die Ablehnung von Sozialbestattungsanträgen.

Er liest aus dem besagten Urteil des BSG Dinge heraus, die dort so nicht drinstehen. Zunächst einmal vertritt er die vom Gericht gerade nicht vertretene Ansicht, dass der sogenannte Nachranggrundsatz aus § 2 SGB XII im Tatbestandsmerkmal der Zumutbarkeit verankert sei. Richtig ist, dass es stets auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Das BSG formuliert im Urteil jedoch vielmehr (Rz. 19): „Ist der Bestattungspflichtige bedürftig, kann ihm die Übernahme der Bestattungskosten nicht zugemutet werden; nur bei fehlender Bedürftigkeit kommen sonstige Zumutbarkeitsgesichtspunkte zum Tragen.“

Gotzen behauptet weiter, das BSG unterscheide zwei Zeitpunkte hinsichtlich der Zumutbarkeit, nämlich nach bereits vollzogener Bestattung und bevor überhaupt ein Bestattungsvertrag abgeschlossen ist. Nur in letzterem Fall soll der Sozialhilfeträger nicht auf anderweitige Ersatzansprüche verweisen können, die nicht offensichtlich sofort realisierbar sind. Im Normalfall aber, wenn also der Bestattungsauftrag schon erteilt ist, gehe es, so Gotzen, nur noch um die Entlastung von den Bestattungskosten. Dann soll der Antragsteller grundsätzlich auf die Realisierung vorrangiger Ansprüche verwiesen werden können. Auch das schreibt das BSG an keiner Stelle. Stattdessen heißt es in dem Urteil (Rz. 21): „Ist mithin ein etwaiger Ausgleichsanspruch derart zweifelhaft und ist sogar dessen gerichtliche Durchsetzung erforderlich, weil der Anspruchsgegner die Übernahme der Kosten bereits abgelehnt hat, oder mit derartigen Unwägbarkeiten wie vorliegend verbunden, dass ein Erfolg unsicher ist, kann es der Klägerin nach obigen Maßstäben nicht zugemutet werden, gegen die Mutter des Verstorbenen oder gar das Land gerichtlich vorzugehen und sich auf einen langwierigen Prozess mit ungewissem Ausgang einzulassen.“

Bei Gotzen und auch einigen Sozialgerichten wird aus dieser Feststellung des BSG die Anforderung, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Nichtbestehen eines Ausgleichsanspruches ausgegangen werden muss. Anders sei jedoch vorzugehen, wenn der Ausgleichsanspruch nicht mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden kann und sich ein wirtschaftlich durchaus leistungsfähiges Familienmitglied vor der finanziellen Verantwortung drücken möchte. Ansonsten bestehe, so die Sozialgerichte, die Gefahr von Mitnahmeeffekten (Gotzen, aaO., Rz. 84). Es kann dann auch auf Ausgleichsansprüche gegen Dritte verwiesen werden, wenn der Schuldner des Ausgleichsanspruchs selbst auf einen anwaltlichen Schriftsatz nicht reagiert oder bloß im Ausland lebt. Gegebenenfalls wird sogar gefordert, dass der Antragsteller gerichtlich gegen den Dritten vorgeht.

Man muss sich jetzt die Situation vergegenwärtigen: Wir haben den Kunden des Bestatters, der einen Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten stellt, weil er selbst nicht leistungsfähig ist. Es existiert irgendwo ein Verwandter, der ebenfalls bestattungspflichtig ist, aber nicht zahlen will. Nach der Vorstellung von Gotzen und einige Sozialgerichte und vor allem natürlich auch der Sozialämter soll der Kunde nun Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe in Anspruch nehmen, um einen eventuellen Ausgleichsanspruch gegen den anderen Bestattungspflichtigen zu realisieren. In dieser Zeit des Zivilprozesses des Kunden gegen den Dritten müssen Bestattungsunternehmer, Friedhofsverwaltung und gegebenenfalls Krematorium auf ihre Vergütung warten oder gegebenenfalls selbst gerichtliche Schritte unter Verjährungsgesichtspunkten einleiten. Es werden also unter Umständen vier Prozesse geführt, nur weil das Sozialamt die Grenzen der Zumutbarkeit weit überdehnt. Hier ist ernsthaft zu fragen, was durch ein solches Vorgehen für den Sozialstaat gewonnen wird. Ist es wirklich einem bedürftigen Antragsteller zumutbar, selbst ein Ausgleichsprozess zu führen und sich von seinen Auftragnehmern verklagen zu lassen?

Für den Bestatter jedoch bedeutet die interessengesteuerte Uminterpretation des Grundsatzurteils des BSG aus dem Jahr 2009, dass Sozialbestattungen für ihn ein unübersehbares Risiko bergen. Daher behelfen sich vielfach die Bestatter damit, dass sie sich vorab eine Anzahlung geben lassen und bei deren Ausbleiben die Sozialbestattung erst gar nicht ausführen. Dann ist die Kommune gefordert, unter polizeilichen Gesichtspunkten zwangsweise eine Bestattung anzuordnen und auf ihre Kosten durchführen zu lassen. Gegebenenfalls muss am Ende die Kommune gegen ausgleichspflichtige Dritte vorgehen. Es ist zudem eine unerträgliche Polemik, wenn Bestatter unterstellt wird, sie wollten die Sozialämter nur als Ausfallbürge missbrauchen. Hier sollte sich mancher Beamte einmal überlegen, wer die Steuergelder aufbringt, mit denen er selbst und auch die Sozialbestattung bezahlt wird.